
Bischofsblog – Gottes Wirken in der Vergangenheit
- On 17. April 2018
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„Der Mächtige hat Großes an mir getan.“ (Lk 1,49) – Gottes Wirken in der Vergangenheit
Warum ist Geschichte wichtig? Wozu heute noch die Bibel (insbesondere das Alte Testament) lesen? Was tun mit diesen alten Erzählungen? Der Jugend gehört die Zukunft – wozu braucht sie die Vergangenheit?
Ich möchte mit einer kleinen Geschichte antworten, von einem Zwerg und einem Riesen:
Der Riese ist uralt, er hat schon viel erlebt und ist sein langes Leben lang langsam, aber stetig gewachsen. Er wächst sogar immer noch, aber man merkt es kaum. Sein Freund ist der kleine Zwerg. Der ist noch ganz jung und winzig, jedenfalls im Vergleich zum Riesen.
Wenn der Riese gut aufgelegt ist, hebt er den Zwerg auf eine seiner Schultern, und wenn er besonders gut aufgelegt ist, setzt er den kleinen Zwerg sogar oben auf seinen Kopf. Das mag der kleine Wicht besonders gern, weil er dann „größer“ ist als der Riese. Jedenfalls hat er die Augen dann weiter oben und sieht daher auch ein klein wenig weiter hinaus ins ferne Land.
In seinem langen Leben hat es der Riese schon oft erleben müssen: Wenn er sich mit so einem kurzlebigen Zwerg einmal so richtig angefreundet hatte, ist der Kleine früher oder später gestorben. Zwerge leben halt nicht so lang. Je besser sie befreundet waren, desto deutlicher geschah danach etwas Eigenartiges: Der Riese wuchs um ein kleines Zwergenstück und konnte jetzt auch so weit blicken, wie vormals der kleine Freund auf seinem Kopf. Und dann kam ein anderer Zwerg und wurde sein neuer Freund. So wuchs und wuchs er über die Jahrhunderte…
Was soll das kleine Märchen sagen? Der Zwerg ist der einzelne Mensch, der Riese die Geschichte der Menschheit, der Erfahrungsschatz der Kirche. Aus sich selbst ist die Perspektive eines jeden Menschen so klein und beschränkt wie die eines Zwerges. Erst wenn man den Riesen des Erfahrungsschatzes besteigt, sieht man weit, ja sogar um ein kleines persönliches Stückchen weiter als der Erfahrungsriese selbst.
Das mag im Bild verdeutlichen, warum für den Glauben die Geschichte gläubiger Menschen, ihre Erfahrungen mit Gott wesentlich sind. Die Heilige Schrift ist nichts anderes als eine große Sammlung von niedergeschriebenen Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben, ganz besonders Jesus von Nazareth, der wie kein anderer gottverbunden gelebt hat. Die Lehre der Kirche ist die Fortschreibung dieser Erfahrungen in der Zeit seit Ihm und wächst daher beständig weiter, so wie der Riese mit jedem Zwergenfreund etwas weiter wächst. Die Lehre der Kirche ist dynamisch und niemals abgeschlossen! Tradition ist nichts Starres und Unveränderliches! Wenn Menschen meinen, ganz ohne die Lehre und Erfahrung der Kirche an Jesus Christus glauben zu können, so ist ihr Glaube relativ klein geraten, weil er sich auf keine großen Erfahrungen stützen kann.
Deshalb heißt es in der Heiligen Schrift: „Denk an die Tage der Vergangenheit, lerne aus den Jahren der Geschichte!“ (Dtn 32,7)
Auch Maria hat die Heilsgeschichte Gottes mit ihrem Volk Israel gut gekannt, wie aus ihrem Magnificat-Lied, das ans Alte Testament anknüpft, deutlich wird (Lk 1,46-56).
Was kann das für dich in der Vorbereitung auf den Weltjugendtage bedeuten? Hier ein paar Anregungen:
- Ich lese das Magnificat (Lk 1,46-56) langsam und meditativ.
- Ich entdecke ein mir noch weniger bekanntes Stück aus der Bibel.
- Ich lese die (Kurz-)Biographie eines / einer Heiligen.
- Ich befrage eine/n Theologen/in über einen Aspekt der Lehre der Kirche, der mich besonders interessiert.
- Ich überlege mir, was Gott in meinem eigenen Leben bereits an Großem getan hat und danke Ihm dafür.
- Ich halte einen Tagesrückblick und bemühe mich, das Wirken Gottes an diesem Tag zu sehen und danke dafür.
- Ich spreche mit einem älteren Menschen über dessen Glaubenserfahrungen.
Weihbischof Stephan Turnovszky, Wien
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