
Bischofsblog – Zwischen Herzklopfen und Selbstzweifel
- On 19. November 2018
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„Ich will Gottes Ruf folgen. Aber es gibt so viele Probleme, Dinge, die mir dabei im Weg stehen. Und ich habe Angst vor der Reaktion anderer Menschen. – Was werden meine Freunde dazu sagen? Und meine Eltern?“
Danach verließ sie der Engel (Lk 1,38). – Mit dieser lapidaren Feststellung endet die große Szene mit dem Erzengel Gabriel, die das Leben von Maria auf den Kopf stellen wird, ja gewaltige Auswirkungen für die gesamte Menschheit haben wird.
Danach verließ sie der Engel. – Und jetzt? Was war wohl die erste Reaktion Marias darauf? Musste sie sich erst einmal setzen? Hat sie geweint? Gelacht? Ist sie auf und davongerannt? Was war ihre Reaktion in den ersten zehn Minuten, nach zwei, drei Stunden? Wie hat sie in der Nacht darauf geschlafen? Konnte sie überhaupt schlafen? Was ist wohl in ihr vorgegangen? „Was war das jetzt? Habe ich geträumt?“ Sie greift sich auf den Kopf, klatscht kurz auf die Handflächen – „Ja das bin ich – aber bin ich noch echt?“ Habe ich da richtig gehört? Wer hat da mit mir eben gesprochen? Hat das sonst noch jemand gehört?“
So viele Fragen auf einmal. Wer kann damit fertig werden? Wie kann man damit umgehen? – Vor allem: Mit wem kann ich über dieses Erlebnis reden? Die werden mich doch alle für verrückt halten, zumindest auslachen! Schon wenn ich nur anfange zu erzählen: Ich glaube, ein Engel hat zu mir gesprochen …“
Da wird es wohl ganz laut und wieder ganz leise werden im Kopf und im Herzen Marias. Großes Herzklopfen und dann wieder riesige Selbstzweifel. Hat sie das alles richtig verstanden? Und: „Wie habe ich da geantwortet? Mit wem kann ich über so etwas reden?“
Mit wem kann ICH über Besonderheiten meines Lebens reden? Erst recht über Fragen und Freuden meines Glaubens? Oder gar über Fragen meiner Berufung? Da bleiben nicht viele Menschen übrig, denen ich mich da anvertrauen kann.
Mit wem kann ich überhaupt über mein Leben reden? Nicht nur über die Alltäglichkeiten, das Wetter und das Wochenendprogramm (hier fängt es ja schon an?!) Wenn ich einen, oder gar zwei, drei Menschen habe, mit denen ich mich ganz einfach und ehrlich über mein Leben austauschen kann, dann ist das ein großes Geschenk. Was mich bewegt. Was mir in der Tiefe Freude macht. Was ich falsch gemacht habe. Was ich aus meinem Leben noch machen möchte. Wovor ich Angst habe.
Maria machte sich auf den Weg in das Bergland von Judäa und besucht ihre Verwandte Elisabet. Eine alte Frau, die keine Kinder hat, als unfruchtbar gilt – und jetzt im sechsten Monat schwanger ist. Maria vermutet und hofft, dass sie mit ihr über ihre Fragen reden kann. „Die wird mich vielleicht verstehen.“
Es ist ein Riesen-Geschenk, wenn ich jemanden habe, mit dem ich über meinen Glauben reden kann, meine Fragen, meine Freude, meine Erlebnisse. Es ist kostbar, wenn ich meinen Glauben mit anderen Menschen teilen kann. – Und bei denen ich es sogar wagen kann, wegen Fragen meiner Berufung anzuklopfen, die mich vielleicht schon lange und immer wieder, einmal lauter, dann leiser, dann wieder gar nicht bewegen. Oder die plötzlich über mich hereinbrechen wie bei Maria.
Und Maria blieb etwa drei Monate bei ihr. Ein Ort, wo ich bleiben kann. Menschen, die mich auch länger aushalten, oder zu denen ich immer wieder kommen kann.
Heute kann ich einmal Gott von Herzen danken, wenn mir solche Menschen geschenkt sind! Und ich bitte darum, dass sie mir immer wieder geschenkt werden! Zum Glauben braucht man Freunde. Es lohnt sich und ist ganz wichtig, in solche Freundschaften zu investieren (Zeit, Fantasie, …). Ich bitte auch für andere Menschen in meiner Umgebung, dass sie solche Wegbegleiter finden. Und, wenn ich gebraucht werde, dass ich ein offenes Ohr und Herz für das Leben und den Glauben von anderen habe.
Weihbischof Dr. Anton Leichtfried, St. Pölten
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