
Selig die Barmherzigen
- On 1. März 2016
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- Barmherzig, Barmherzigkeit, Christoph Schönborn, Kardinal, Selig, Seligpreisungen
Liebe Jugendliche,
was heißt wirklich barmherzig sein? Ich möchte zwei Worte Jesu in den Mittelpunkt stellen: „Seid barmherzig, wie es auch euer himmlischer Vater ist!“ (Lk 6,36; vgl. Mt 5,48); und das andere aus den Seligpreisungen: „Selig die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit finden“ (Mt 5,7) Aber was heißt „Barmherzigkeit“? Was ist Erbarmen? Was meint Jesus, wenn er sagt, wir sollen so barmherzig sein wie Gottvater es ist?
Ausgangspunkt ist für mich eindeutig Papst Johannes Paul II., den man den „Papst der Barmherzigkeit“ nennen kann. Bei seinem letzten Besuch in Polen 2002 hat er die neue Basilika von Łagiewniki, das Heiligtum der Göttlichen Barmherzigkeit, geweiht. Ich zitiere einige Worte aus dieser Predigt, die für mich ein Auftrag an die ganze Weltkirche war, ja eine innige Bitte des Papstes und letztlich eine Bitte Jesu an unsere Zeit. Damals am 17. August 2002 sagte er in Łagiewniki: „Wie dringend braucht die heutige Welt das Erbarmen Gottes. Aus der Tiefe des menschlichen Leids erhebt sich auf allen Erdteilen der Ruf nach Erbarmen. Wo Hass und Rachsucht vorherrschen, wo Krieg das Leid und den Tod unschuldiger Menschen verursacht, überall dort ist die Gnade des Erbarmens notwendig, um den Geist und das Herz der Menschen zu versöhnen und Frieden herbeizuführen“
Ich denke, diese Worte des großen Papstes, die er bei seiner letzten Reise, einen Tag vor seinem Abschied, in Polen zurückgelassen hat, sind eine Art Weisung an die ganze Kirche für diese Zeit.
Papst Franziskus hat seine erste Reise in Italien im Juli 2013 nicht zu einem bekannten Heiligtum, Assisi oder Loretto zum Beispiel unternommen, sondern auf die kleine Insel Lampedusa, nicht weit von der nordafrikanischen Küste. Sie ist inzwischen zum Symbol für das europäische Flüchtlingsdrama geworden. Zigtausende Menschen versuchen auf primitiven Booten von Nordafrika aus die Insel Lampedusa anzusteuern, um in Italien um Asyl anzusuchen. Viele Hunderte von ihnen sind bei diesem waghalsigen Versuchen bereits ums Leben gekommen, meist ertrunken. Ihre Zahl geht inzwischen in viele Tausende.
Nun das Dilemma: Hilft Europa diesen Flüchtlingen, so öffnet das Tür und Tor, dass noch mehr Menschen die Flucht nach Europa versuchen. Versucht Europa sich mit einer Festungsmauer zu umgeben, dann werden die Versuche, trotzdem nach Europa zu kommen noch waghalsiger, noch gefährlicher und noch mehr Tote werden zu beklagen sein. Was also heißt hier die Barmherzigkeit zu praktizieren? Und wie verhält sie sich zur Gerechtigkeit?
Barmherzigkeit schließt die Gerechtigkeit ein, geht nicht ohne Gerechtigkeit. Haben wir im reichen Europa vergessen, dass die Not in Afrika auch ein Teil unseres Wohlstands ist? Dass die Armut in Afrika auch der Preis für den Reichtum Europas ist? Europa gibt beschämend wenig für die Entwicklungshilfe in Afrika und macht beschämend hohe Gewinne an den Reichtümern Afrikas. Es gäbe nicht so viele Flüchtlinge aus Afrika oder den Ländern des Nahen Ostens, gäbe es mehr Gerechtigkeit für sie. Die Menschen müssten nicht aus Not und unter Lebensgefahr ihre oft von Bürgerkrieg zerstörten Heimatländer verlassen, wenn ihre Lebensbedingungen zu Hause gerechter wären.
Die Barmherzigkeit mit den Bootsflüchtlingen, die in Italien oder Griechenland landen, wenn sie nicht vorher ertrunken sind, ist zuerst eine Frage der Menschlichkeit. Jeder Mensch in Not braucht und verdient Mitgefühl und Hilfe. Die Barmherzigkeit mit den Menschen, die Europa zu erreichen suchen, ist auch eine Frage der Gerechtigkeit, da Europa ihnen die Lebenschancen geraubt hat, die es ihnen ermöglicht hätten, in ihrer Heimat ein gutes Leben zu leben.
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